Die Kampfkunsttugend Wude
Gemäß der alten Wushu-Tradition war in China kein wahrer Meister bereit, Schüler in seiner Kampfkunst zu unterweisen – mochten sie auch noch so talentiert sein und fleißig trainieren –, wenn sie nicht bereit waren, zuerst die Kampfkunsttugend Wude
zu verinnerlichen. Der Begriff Wude setzt sich zusammen aus Wushu, den chinesischen Kampfkünsten, und Daode, was mit Tugend oder Moral übersetzt werden kann. Im Lauf der Geschichte wurde versucht, diese Forderung nach moralischer Integrität des Kämpfers auszuformulieren und in Listen abzufassen. Der folgende, heute noch aktuelle Tugendkatalog nennt die bereits zwei Jahrtausende alten konfuzianischen Kardinaltugenden und fügt ihnen den für den Kämpfer unerlässlichen Mut hinzu:
Ren: Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe, gegenseitige Liebe
Yi: Rechtschaffenheit, Gerechtigkeit, Urteilen mit dem Herzen
Li: Umgangsformen, Respekt, Höflichkeit
Zhi: Wissen, Verstand, Bildung und Weiterbildung
Xin: Vertrauen, Ehrlichkeit und Offenheit, aufrichtiger Glaube, Halten von Versprechen, Standfestigkeit und Einsatzbereitschaft
Yong: Mut, Tapferkeit, Einstehen für eine Sache.
Der Begrüßungsritus – Baoquan li
Die Begrüßung mit Handfläche und Faust, die im Wushu-Training üblich ist, ist Ausdruck des Wude. Sie wird im Chinesischen als Baoquan li bezeichnet, wörtlich „der Ritus der zusammen gehaltenen Faust”. Dieser alte höfliche Begrüßungsritus ist seit jeher unter Kampfkünstlern üblich. Mit ihm wird der Respekt gegenüber der anderen Person ausgedrückt. Die rechte Faust steht für den Ausdruck von Kraft. Sie wird auf das „Herz” der linken Hand gelegt. Bei der Handfläche der linken Hand steht der kleine Finger für Ästhetik, der Ringfinger für Gesundheit, der Mittelfinger für Wissen, der Zeigefinger für Tugend und der geknickte Daumen für Bescheidenheit. Die Hände werden in etwa 20–30 cm Entfernung vor der Brust gehalten. Der Blick ist geradeaus gerichtet, die Augen sind Ausdruck des aufrichtigen Herzens.
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